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Montag, 23. September 2019

Sensibelchen: Ich hab was zu sagen. Auch wenn ich es nicht ausspreche.

Eine Meinung haben. 

Ich spüre immer wieder den Druck eine Meinung haben zu müssen. Klimathema. Politik. Nachhaltigkeit. Ich muss eine Meinung haben. Als intelligenter, erwachsener Mensch dürfen mir wichtige Themen nicht egal sein. Und das ist auch richtig so. Es ist wichtig sich eine Meinung zu bilden und ich tue das auch, regelmäßig. 

Aber, ich muss nicht mit allen Fischen mitschwimmen. 

 

Eine Meinung haben, das bereitet mir immer Bauchweh


In der Schule hatte ich ein Problem: Den schmalen Grad zwischen "Du bist zu schüchtern" und "Du bist zu langweilig". Heute weiß ich, ich war gar nicht schüchtern, nur unsicher. Hochsensibel eben. Und sehr überfordert mit der Art und Weise wie das Schulsystem funktionierte. Als unsicherer Mensch willst nicht durch das Raster fallen, aber du willst auch nicht zu sehr auffallen. Nie im Mittelpunkt stehen. Das heißt Zurückhaltung ist angesagt. Nicht zu laut. Aber auch nicht zu leise, damit ich den andere nicht dadurch auffalle, dass ich nicht auffalle. You know? The struggle is real, würden die Engländer sagen.


Meine größte Angst damals? Langweilig sein. Die graue Maus. Die, die nicht auffällt. Warum? Weil ich dann ja doch aufgefallen wäre, mit diesem Nicht-auffallen-wollen. Wäre Opfer von Mobbing und dummen Sprüchen geworden. Erfahrung gemacht, abgehakt. Und weil ich wusste, dass ich das nicht bin. Dass ich mehr kann und, dass ich aus dieser Schublade nicht mehr raus komme. Ich habe also darauf geachtet Freunde zu finden, die ganz anders waren. Die mich mitgezogen haben. Und andere, die grauen Mäuse, sahen zu mir auf. Ich habe sie an die Hand genommen, mich besser gefühlt, weil ich beides konnte - mit den Mäusen laufen, aber auch mit den Königinnen. Ich gehörte zu beiden, aber irgendwie gehörte ich nirgendwo so richtig dazu. Und landete am Ende allein in der Ecke der Pausenhalle. 


Da kam ein Knall. Irgendwann am Anfang der elften Klasse. Ein richtiger Rumms, der mich dieses Spiel nicht mehr aufrecht halten ließ. Und dann wars das für den Rest meines Lebens. Neue Überlebenstrategie suchen, hieß es. 


Weil mein Selbstbewusstsein zu diesem Zeitpunkt in eine Erbse gepasst hätte und ich zwar innerlich wusste, dass ich was wert bin, das aber irgendwie äußerlich nicht umsetzen konnte, war ich einsam. Ich habe meine Gedanken mit niemandem so richtig teilen, mal laut aussprechen können was mich bedrückt. Und so habe ich mich in meiner Teeniezeit vor allem über meine Beziehungen definiert. "Die Freundin von...", achso die! 


Es hat so viele Jahre, Tränen und Beziehungen gebraucht, bis ich ICH war und nicht mehr nur DIE. 


Vor allem habe ich mir all die Jahre vorwerfen lassen keine eigene Meinung zu haben. Dass ich nur nachrede. Dass ich nichts zu sagen habe. Ohhh, Leute, ich hätte SO VIEL zu sagen gehabt! Aber was tust du als sensibler Mensch, der sich seiner selbst gar nicht sicher ist? Klein bei geben. Genau. Das tust du. 

Du lässt die anderen reden, stimmst ihnen zu. Entschuldigst dich. Sagst wie leid dir das tut und, dass du einsiehst, dass du einen Fehler gemacht hast. Obwohl es nicht deiner war, obwohl man mit dir umging wie mit einem alten Socken - man warf dich weg. Wieder und wieder. Und trotzdem hast du die Schuld auf dich genommen - warum? Weil du nicht wolltest, dass der andere leidet. Weil du lieber die Schuld auf dich genommen und den Streit beendet hast. Weil du damit besser leben konntest, mit dieser Schuld, als mit dieser ständigen Spannung. Und vor allem mit dem Gedanken, dass jemand sauer auf dich sein könnte. Dass dich jemand nicht mag.

Denn du wolltest immer Everybody´s Darling sein! 


Du wolltest, dass jeder dich mag, denn Spannungen konntest du nicht leiden. Die haben dich gestresst und, das war der Punkt, noch mehr verunsichert. Du wolltest, dass Menschen dich mögen, also warst du immer schön farblos, nett, unaufgeregt, nicht zu laut, weil du niemandem negativ auffallen wolltest. Und du hast dein ganzes Potenzial in den Papierkorb geworfen und da vergessen...


Du hast ignoriert, dass du diese ganze Bande nicht leiden konntest. Du hast mitgespielt. Du hast nie gesagt, dass du das nicht willst, dass dir das keinen Spaß macht. Du hast Ausreden erfunden, die dir irgendwann das Genick gebrochen haben, weil du Angst hattest die Wahrheit zu sagen und anderen vor den Kopf zu stoßen. DU HATTEST IMMER ANGST. 


Und so war ich nie laut. Immer leise. Und musste mich dafür verantworten. Ich habe lernen müssen, dass man von Beurteilung, Veruteilung und Schubaldendenken nie davon laufen kann. Andere werden in dir sehen was sie wollen und - du kannst sie nicht alle zufrieden stellen! 

 

Ich musste aufhören mich klein zu machen, mich in die Opferrolle zu drängen. Ich habe gehört was andere über mich denken und, dass das gar nicht so negativ ist, wie ich immer dachte. Ich habe etwas getan was ich gut konnte und Anerkennung dafür bekommen. Und die Zweifel waren immer noch da, aber ich habe gelernt sie zu kontrollieren. 

 

Ich hab was zu sagen, auch, wenn ich es nicht immer ausspreche! 

 

Es ist egal wen ich damit erreiche, beeindrucke oder glücklich mache. Was zählt bin ICH. Mich darf ich nicht aufgeben, weil ich nur dieses eine kurze Leben habe, dem ich es schulde das beste daraus zu machen! 

All diese Erfahrungen aus der Jugend waren es wert. Weil ich schon durch so vieles gegangen bin, dass mich mir selbst näher gebracht hat. Ich habe die Möglichkeit mich bunter, heller, lauter zu sehen als alle anderen, weil ich der einzige Mensch bin, der mein volles Inneres kennt. Und so ist die Lösung für dieses Teenie-Dilemma gewesen, mein eigener bester Freund zu werden!  Bei dem ich eine Meinung haben kann. Die ich nicht mal aussprechen muss, weil sie in mir drin ist. 

 

So muss ich mich nicht überall einmischen. Bleibe gern für mich. Spreche selten offen. Und zeige ab und an eine Fassade. Aus Angst. Und weil die Angst als ständiger Begleiter genau das ist was mich mittlerweile so stark macht, mich immer wieder fordert und in tiefste Tiefen wirft, ist sie das was ich anderen voraus habe! Mein Helfer in der Not...

Sie ist wie ein großer schwarzer Bär, vor dem ich immer Angst hatte. Vor dem ich fortgelaufen bin. Der mich dann eines Tages sanft in seine riesigen Tatzen nahm, vom kalten dunklen Boden aufhob und auf seinen Rücken setze. Und mit seinem Fell meine Tränen trocknete. Die Angst ist riesig. Sie ist stark. Aber mein Vorteil. Ein Teil von mir. 

 

Ich hab immer was zu sagen. Auch wenn ich es nicht ausspreche. Weil ich dich nicht verletzen will. Weil ich einfach nicht genug Ahnung davon habe. Weil ich gerade mit mir selbst eine Debatte führe, im Inneren. Weil ich einfach nichts sagen möchte. 

Aber ich habe immer was zu sagen. 

 



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3 Kommentare

Anonym hat gesagt…

was für ein Text. Es ist toll wie ehrlich und offen du bist! Da kann man sich wirklich ein Beispiel nehmen. Ich wünsche mir mehr solcher Texte und Erfahrungen, das würde mir sehr helfen.

Liebe Grüße!

Elisabeth-Amalie hat gesagt…

Wieder einmal sehr schön geschrieben! Und ja, ich kenne das: Auch ich habe oft nichts zu sagen, obwohl ich doch so viel zu sagen hätte. Aber manchmal weiß ich gar nicht, wie sich das überhaupt in Worte fassen lässt oder wo überhaupt der Anfang ist. Und schließlich gibt es ja auch kaum Menschen, die wirklich, wirklich zuhören. Aber manchmal schreibe ich dann einfach. Dann purzeln die Worte/Wortfetzen zwar nur so heraus aber es erleichtert. :)

Du bist toll! <3

Nadine hat gesagt…

Ein sehr schöner Text, und toll wie du so offen darüber schreiben kannst. Gleichzeitig interessant zu sehen, wie es anderen geht, also einen Einblick in den Kopf einer anderen Person zu bekommen. Ich wäre in meiner Schulzeit gerne nicht aufgefallen und wäre lieber unsicher und langweilig gewesen. Außerdem wäre es bestimmt auch einfacher gewesen, wenn ich nicht immer meine Meinung kundgetan hätte, konnte mein Mund leider noch nie halten, wenn mir was wichtig war oder ich mit was nicht übereinstimmte.


Danke für deinen lieben Kommentar! :)

Vielleicht werden wir ja beide irgendwann wieder in die Welt von Mittelerde zurrückkehren. Schön, dass du auch neues entdecken konntest.

Viele liebe Grüße

Nadine
Wörter auf Reise


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